Das Zisterzienserkloster Himmelkron und seine Bibliothek

Veröffentlicht mit freundlicher Genehmigung des Autors Jochen Seidel aus Kulmbach

Im Jahre 1098 gründete der Wanderprediger Robert von Molesme in Burgund das Kloster Cîteaux, zu Latein "Cistercium". In bewusster Abkehr vom Pomp der Cluniazenser legten die Zisterzienser großen Wert auf eine asketische Lebensform und verfolgten das strenge Armutsideal. Sie verzichteten dabei auf jeglichen Schmuck an ihren Gebäuden und ihrem Habit.

Der Zisterzienserorden machte sich in vielfacher Weise verdient. Sie siedelten sich vorwiegend in unwegsamen, dicht bewaldeten Regionen an und machten das Land urbar, legten Sümpfe trocken und rodeten Wälder. 1127 entstand mit Kloster Ebrach im Steigerwald das erste fränkische Zisterzienserkloster, fünf Jahre später wurde Kloster Langheim gegründet. Adelsfamilien stifteten mit Vorliebe Klöster für Zisterzienser, da diese wegen ihres handwerklichen Fleißes nur eine vergleichsweise geringe Grundausstattung benötigten, so dass selbst ärmere Adelsfamilien sich die Stiftung leisten konnten.

"Aus göttlicher Eingebung, zum Nachlaß aller Sünden und zum Heilmittel unserer Seele", schrieb Graf Otto am 28. Dezember 1279 - dem "Tag der unschuldigen Kindlein" - in der Stiftungsurkunde des Klosters Himmelkron. Hiermit überließ er sein castrum Pretzendorf dem Zisterzienserorden zur Errichtung eines Klosters, das den Namen "Corona coeli" - Himmelkron - erhalten sollte.  Die thüringischen Grafen von Orlamünde waren erst 1260 in den Besitz der Herrschaft Plassenburg gelangt. 1248 war der letzte Andechs-Meranier, Herzog Otto II., kinderlos auf seiner Burg Niesten verstorben. Der Kampf um die "Meranische Erbschaft" dauerte ganze zwölf Jahre, ehe sich die verfeindeten Parteien einigen konnten.  Die Orlamünder stifteten das Kloster, so wie es in jener Zeit viele Adelsfamilien taten. Auch die anderen Geschlechter, die sich um das Erbe der erloschenen Andechs-Meranier stritten, gründeten oder unterstützten Klöster. So wählten die Grafen von Truhendingen Kloster Langheim zu ihrer Grablege, während die Henneberger Kloster Mönchröden (zwischen Coburg und Neustadt bei Coburg) sowie Sonneberg zu ihrer Begräbnisstätte bestimmten.    

Die Weiße Frau

Die Sage von der "Weißen Frau" ist eng mit dem Kloster Himmelkron verbunden. Kunigunde von Orlamünde, die Witwe des letzten Grafen von Orlamünde (gest. 1340), hatte sich bekanntlich in den Nürnberger Burggrafen Albrecht den Schönen verliebt. Albrecht, dessen Eltern gegen diese Verbindung waren, sagte Kunigunde, dass vier Augen zwischen ihrer Liebesbeziehung stünden. Kunigunde glaubte jedoch irrtümlich, dass es sich hierbei um ihre beiden Kinder handelte und ermordete sie auf grausamste Weise. Der Burggraf von Nürnberg war über diese Tat entsetzt und kehrte der Kindsmörderin sogleich den Rücken.  Die beiden Kinder sollen im Kloster Himmelkron bestattet worden sein und in der Tat lassen sich dort bis ins 17. Jahrhundert zwei Kindergräber nachweisen. Aus Reue über ihre verwerfliche Tat wollte Kunigunde von der Plassenburg aus betend und auf Knien rutschend bis nach Himmelkron zu ihren Kindern gelangen. Doch sie brach nahe Trebgast vor Erschöpfung tot zusammen. Als Tote fand sie jedoch auch keine Ruhe. Bis zum heutigen Tage spukt sie als Geist durch die Schlösser der Hohenzollern. Die echte Kunigunde ging als Witwe ins Kloster Himmelthron bei Nürnberg, wo sie auch beigesetzt wurde.    

Fragmente des Katalogs

Im Bayerischen Staatsarchiv befinden sich zwei Fragmente, die nachweislich die letzten Reste des Bibliothekskatalogs des Klosters darstellen. Es existieren zwei einseitig von derselben Hand beschriebene Blätter, wovon das erste Fragment eine Größe von 21,3×11 cm hat und leichte Beschädigungen aufweist. Das zweite Fragment ist 28×11,5 cm groß, ist ebenfalls beschädigt und beinhaltet v.a. den Text des Bibliotheksinventars. 

Auf den ersten Blick ist nicht erkennbar, in welcher Zeit und von wem diese Fragmente (auch Schedulae genannt) verfasst wurden. Doch auf dem ersten Blatt befindet sich der Vermerk eines Bruders Niklas, der an die Schwestern des Klosters Himmelkron gerichtet ist:  Und ich bruder Niclas von Culmach das also versignirt hab, gearbayt und geschribenn und also geschriben, daz dy swesteren, dy ynzunt sein und und [sic!] zukunfftig werden, mein gedenken gen got. Damit sey uns got gnedig und barmherczig. Amen.

Tatsächlich lässt sich ein Mönch namens Niklas nachweisen. Er war Prior des Augustiner-Eremitenklosters in Kulmbach und ist für die Jahre 1516 und 1517 bezeugt. Demnach kann man annehmen, dass die Niederschrift dieses Inventars wohl ebenfalls in jenen Jahren erfolgt sein muss.  Es stellt sich jedoch die Frage, warum ein Mönch aus dem Kloster in Kulmbach den Bibliothekskatalog des Himmelkroner Klosters verfasste, wo dies doch eigentlich unter der Führung des Klosters Langheim stand und zudem zu einer anderen Kongregation gehörte. Es war sogar verboten, dass Geistliche anderer Orden ein Frauenkloster der Zisterzienser betreten durften. Von Langheim, welches eine bedeutende Schreibschule unterhielt, wurden i.d.R. alle benötigten Bücher an andere Klöster geschafft. Sicherlich bezog auch der Frauenkonvent seine Bücher aus dieser Schreibstätte. Deshalb ist es umso merkwürdiger, dass Bruder Niklas weiterhin schreibt, er habe ein Gradual - also ein liturgisches Buch - für das Zisterzienserkloster verfasst: Item und hab ich denn kor geschriben ain newes gradual, czway tayl. Eynen layhenn gebüret dovon zu geben XL gulden. Von einem quaternn nympt ain lay zu schreyben V solidi. Nu daz tayll de sanctis hat XXVI quaternn und das ander tayl de tempore hat XXXVI quaternn. (Fragment I) Eine Erklärung für diesen Umstand ist schwierig. Im oberfränkischen Raum gab es keine Frauenklöster der Augustiner. Es gab lediglich drei Augustinerinnenklöster im heutigen Franken: Marienstein (1469) bei Eichstätt, Königshofen (1478) zwischen Gunzenhausen und Feuchtwangen und Marienburg (1482) zwischen Spalt und Roth.  Es kann also sein, dass das Kulmbacher Kloster sich anschickte, die Himmelkroner zu betreuen, da es räumlich am nächsten lag. Freilich ist dies nur eine Hypothese, eine zufriedenstellende Klärung ist wohl kaum möglich. 

Das erste Blatt enthält neben den bereits erwähnten Mitteilungen u.a. eine Aufzählung eines weißen Gewandes, eines ebenfalls weißen "täglichen" Rocks, einer schwarzen Kutte und eines schwarzen Mantels. Sollte es sich dabei um die Ordenstracht der Zisterzienserinnen handeln, ist dies merkwürdig und bezeichnend zugleich. Zisterzienserinnen durften nämlich laut Beschluss des Generalkapitels in Cîteaux (1481) keine derartige schwarze Tracht tragen. Nur Schleier und Skapulier (ein Überwurf über Brust und Rücken) durften schwarz sein. Alle anderen Kleidungsstücke mussten weiß oder grau sein. Also scheinen sich die Nonnen über jene Bestimmungen hinweggesetzt zu haben, eine in der damaligen Zeit durchaus übliche Erscheinung!    

Fragment II - Der Bücherkatalog

Neben einer Reihe von im Kloster vorhandenen Utensilien werden nun insgesamt 16 Bücher aufgelistet: Item ain pergamenen brevir kauft umb VIII gulden Item ain gedruckten brevir kauft umb III gulden Item ain pergamenes diurnal umb I gulden Item ain petpuchel I gulden Item Jordanum de sanctis gestet III gulden Item Hugonem de prato gestet III gulden Item Johannem Nider super X precepta II gulden Item Haselbach gestet XII solidi cum sermonibus Item fanum mellis gestet X solidi Item II quadragesimal [sic!] in pergameno II gulden Item dicta salutis mit vil sermonibus I gulden Item diversi sermones de tempore et de sanctis um I gulden Item epistel und ewangelium in vulgari ½ gulden Item textum sententiarum cum glosa um X solidi obl[ongi](?) Item parvum libellum cum multis exemplis LX denarii Item Scintillarium cum multis sermonibus um I fl. Zunächst verblüfft die geringe Anzahl der offensichtlich vorhandenen Bücher, besonders wenn man den etwa zur gleichen Zeit entstandenen Bibliothekskatalog des Augustinereremitenklosters in Kulmbach hiermit vergleicht. Die Auflistung ist in lateinischer wie in zeitgenössischer deutscher Sprache geschrieben, wobei jeder Eintrag mit einem "Item" (ebenso) eingeleitet wird. Besonderen Wert legte der Schreiber auf den Kaufpreis, der für jede Schrift genau angegeben ist. Die Preise der Bücher schwanken zwischen einem halben Gulden und stolzen 7 Gulden für das erste Buch. Die drei zuerst genannten Bücher wurden ausschließlich für liturgische Zwecke genutzt. Das petpuchel(Betbüchlein) diente der Privatandacht der einzelnen Nonnen im Konvent. Das an dreizehnter Stelle aufgeführte Buch - es handelt sich um ein Epistel und um ein Evangelium in deutscher (vulgari) Sprache - ebenso wie die zuvor genannten Bücher kann nicht zur eigentlichen Bibliothek des Klosters gezählt werden. Allen ist gemein, dass sie bei der täglichen Arbeit oder für den Eigengebrauch Verwendung fanden. Laut der Ordensregel des Benedikt (Regula sancti Benedicti, Kap. 48) sollte jedes Klostermitglied während der Fastenzeit ein Buch aus der Klosterbibliothek entleihen und es studieren. Zieht man die vier erwähnten Bücher von den insgesamt 16 aufgeführten Werken ab, so bleiben zwölf Bücher übrig - die wahrscheinliche Zahl der in Himmelkron befindlichen Nonnen zu jener Zeit.

Zu den einzelnen Büchern

Jordanus von Quedlinburg (um 1300-1380) war ein Augustineremit und legte seine selbsterlebten Visionen in ausdrucksstarken Schriften nieder. Sein Buch Sermones de sanctis (5.) wurde bereits 1484 in Straßburg im Druck verlegt. 

Das von Hugo von Prato (gest. 1322), einem italienischen Dominikaner, geschriebene Buch (6.) kann anhand des Eintrages im Inventar nicht mehr rekonstruiert werden.

Der Dominikaner Johannes Nider (1380-1438) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten aus Franken in jener Zeit. Er war Prior des Observantenklosters in Nürnberg. Man kann davon ausgehen, dass dies hier vorhandene Buch (7.) das Traktat De decem praeceptis ist, welches ein Teil des Buches Praeceptorium divinae legis ist.

Thomas Ebendorfer von Haselbach (1387-1464) war Rektor der Universität Wien und Ratgeber Kaiser Friedrichs III. Seine Werke waren aszetisch, dienten also dem Streben nach christlicher Vollkommenheit. Das hier vorliegende Werk (8.) war möglicherweise eine Abhandlung über die Predigten des Paulus.

Nach den namentlich nachweisbaren Schriften kommen eine Reihe anonymer Texte, die schwer einzuordnen sind, doch dürfte es sich bei vielen um Predigt- oder Erbauungsbücher handeln. So beispielsweise das Fanum mellis (9.), welches eine Sammlung von Predigten und Traktaten war, möglicherweise von Bernhard von Clairvaux (1090-1153), für den seit dem 15. Jahrhundert der Beiname Doctor mellifluus (honigfließender Lehrer) nachweisbar ist. Aus diesem Grunde wurde Bernhard von Clairvaux später auch zum Patron der Imker und Wachszieher. Bernhard von Clairveaux zählt unbestritten zu den schillerndsten Persönlichkeiten seiner Zeit, verhalf er doch seinem Orden zu einer ungeahnten Verbreitung in weite Teile Europas.

Die beiden Quadragesimalia (10.) waren Fastenpredigten, ebenso wie die zwei nachfolgenden Schriften (11. und 12.) und das 14. Buch namensparvum libellum cum multis glosa. Die restlichen Werke - textus sententiarum cum glosa (13.) undScintillarium (16.) - sind Sammlungen von Glaubenssätzen (Sentenzen) zusammengestellt aus der Bibel und den Schriften verschiedener Kirchenväter.    Die 16 vorhandenen Bücher im Himmelkroner Konvent waren zweckdienliche Schriften und wurden zur täglichen Arbeit und Predigt herangezogen. Eine prächtig ausgestattete Bibliothek wie etwa in Kulmbach besaß Himmelkron nie. Doch dies entsprach dem Ideal des Zisterzienserordens, der sich viel mehr der tatkräftigen Arbeit verschrieb, als sich mit wissenschaftlichen Studien zu beschäftigen.  Heute ist nur noch ein einziges Buch der ehemaligen Klosterbibliothek von Himmelkron erhalten. Es befindet sich im Bayerischen Nationalmuseum(Codex Bibl. 937) und heißt Breviarium cum calendario. Das 112 Pergamentseiten umfassende Werk hat auf der Innenseite des Einbanddeckels die Inschrift:Ist bezahlt 1476: 68 Mark.

Desweiteren findet sich eine interessante Bemerkung auf der Rückseite des Titelblatts, die folgendermaßen lautet: gefunden Himmelcron den 14. Julii Anno 1704 unterm Fußboden der Gestühle in der Nonnenkirche als selbige renovirt worden.

Im Zuge der Reformation wurde das Kloster im Jahre 1569 aufgelöst und diente fortan dem Landesherrn als Sommerresidenz und als Grablege des Geschlechts. 1792 verkaufte der letzte Markgraf Carl Alexander die Reste des Klosters an die Bevölkerung. In der Folge ist viel der Zerstörungswut zum Opfer gefallen, doch zeugt das erhaltene prächtige Kreuzrippengewölbe des Kreuzgangs und der Altar in der Klosterkirche noch heute von der einstigen Schönheit des Klosterkomplexes.